Malte Limbrock macht Klavierpause mit Lukas Schlattmann.

Seit Jahren kennt Münsters Ludgeriistraße „Radio Lukas“, den Straßenmusiker mit Hut, Gitarre, Mundharmonika und toller Stimme. Doch kürzlich überraschte Lukas Schlattmann die Fußgängerzone mit einem neuen Instrument. Anfang 2011 ist er nämlich von Gitarre auf Klavier umgestiegen. Warum er das getan hat, wie er sich in seiner neuen Rolle fühlt und warum an sein Klavier ein riesiger Hund gekettet ist, das habe ich ihn einfach mal gefragt, nach-dem die letzten Töne von „Walking in Memphis“ verhallt waren.

 

Darf ich dich mal interviewen?
Wie spät ist es denn?

Genau halb vier?
Ja, dann gerne. Ich mache jetzt eine halbe Stunde Pause.

Sind deine Pausen etwa immer auf die Minute genau geplant?
Ja, tatsächlich. Von „voll bis halb“ darf man spielen. In der restlichen Zeit muss man Pause machen. Das sind die Regeln hier.

„Ohne Verstärker hast du keine andere Wahl, als deine Gitarre auf Gedeih und Verderb zu verprügeln.“

Gibt es noch mehr Regeln, an .die man sich halten muss?
Man darf keinen Verstärker benutzen und keine CDs verkaufen. Und nach jeder Pause muss ich den Platz wechseln und mindestens 150 Meter weiter ziehen.

Du verkaufst aber doch CDs …
Nein, das siehst du falsch Ich habe das mit dem Schild hier recht elegant gelöst. Da steht: „Sie können sich gerne eine CD mitnehmen.“ Und hier steht: „Ich freue mich über eine Spende von 10 Euro.“ Das ist kein Verkauf.

Du bist echt clever!
Ich habe es dann obendrein so gelayoutet, dass man auf den ersten Blick nur „CD 10 Euro“ lesen kann ! Lacht!

Bist du also wegen des Verstärkerverbots des Ordnungsamtes auf Klavier umgestiegen?
Genau.

Wie transportierst du das Ding denn überhaupt? Ist ja nicht ganz so handlich wie eine Gitarre?
Ich habe einen kleinen Lieferwagen. Mit der kompakten Höhe passt dieses Instrument da haargenau rein. Und das Auto hat eine Rampe für Rollstuhlfahrer.

Fühlt man sich als Straßerunusiker bedeutsamer, wenn man hinter einem Klavier sitzt, anstattt mit einer Gitarre dazustehen?
Der logistische Aufwand ist natürlich großer, insofern ist der Respekt, der einem dafür entgegengebracht wird, auch ein anderer. Eine Gitarre kann halt jeder in die Stadt tragen. Ein Klavier, das ist doch schon mal was!

Lassen dich die Leute in der Fußgängerzone also ihren Respekt spüren?
Ich hatte mir ehrlich gesagt einen größeren Effekt erhofft. Ich dachte, die Leute bleiben stehen und sagen: Ey, Alter, ein Kla-vier?! Aber so offene Reaktionen bleiben ja eh häufig aus. Man hat aber doch schon ein bisschen mehr Präsenz.

Auch ohne Verstärker?
Das Lustige ist ja, das Biest hier ist lauter als meine Gitarre mit Verstärker. Das ist ja der Widersinn an der Regelung.

Mit Gitarre, aber ohne Verstärker ging nicht?
Ohne Verstärker hast du keine andere Wahl, als deine Gitarre auf Gedeih und Verderb zu verprügeln. Deshalb reißt auch in jedem zweiten Set eine Saite. Das ist wirklich anstrengend, doof und musikalisch echt unbefriedigend. Wenn du mit Finger-Picking sanft zupfst, hört man das kaum, bei dem Geräuschpegel, der in der Fußgängerzone herrscht und solchen Nazi-Kack-Baustellen wie die da vorne.

Diesen riesigen Hund hier scheint das alles nicht zu interessieren. Wie heißt der denn?
Das ist der Kazoo.

Wie diese Pfeife?
Genau.

Du hast ihn aber nicht immer dabei.
Nein. Mein Frauchen hat gesagt, der brauchte Abwechslung, statt immer nur auf dem Hof zu liegen. Der müsse in die Stadt. Kazoo ist noch recht jung und muss noch lernen, mit mir zu arbeiten.

Wo trittst du sonst noch auf?
Man kann mich fur Geburtstage buchen, Gartenpartys Hochzeiten sind eigentlich mein größtes Standbein neben der Straße. Ich bin auch im Ausland unterwegs und war gerade zum Beispiel für vier Wochen in der Schweiz.

 

„Die Wahrscheinlichkeit, einen offen ausgetragenen Ehekrach auf der Straße mitzuerleben, ist in Dortmund und Gelsenkirchen am höchsten.“

 

Und wie steht es uni deine internationale Fangemeinde?
Ich hatte gerade den lustigen Zufall, dass Luxemburger Fans mich in der Schweiz besucht haben. Die kennen mich aus Luxemburg, weil ich da schon sehr häufig gespielt habe
Neulich auch auf dem Geburtstag von einem der Fans. Ansonsten bin ich aber ein kleines Licht und habe keine große Fanbase.

Was halten deine Schwiegereltern davon, dass du, sagen wir mal, ein unregelmäßiges Ein-kommen hast?
Das kennen die gar echt anders. Andere Leute nehmen das immer mit Staunen zur Kenntnis, aber für mich ist das Ganze andersrum. Wenn ich hinter meinem Klavier sitze und die ganzen Leute vorbeiziehen sehe. wie sie ihre geregelten Jobs machen. dann frage ich mir immer: Was ist das eigentlich für ein Leben? Ich kann mir die andere Seite eigentlich gar nicht vorstellen.

Du machst also heimlich Sozi-alstudien von deinem Arbeits-platz aus?
Ja, auf jeden Fall. Wenn einem mal langweilig wird, ist das eine großartige Unterhaltung.

Was sind die jüngsten Ergebnisse deiner Studien? Gibt es Entwicklungen, Trends …?
Die Wahrscheinlichkeit, einen offen ausgetragenen Ehekrach auf der Straße mitzuerleben, ist in Dortmund und Gelsenkirchen am höchsten.

Was erlebt man in Münster?
Hier sind die Leute deutlich besser angezogen. Man findet in Münster eigentlich nie jemanden in Ballonhosen und Badelatschen in der Stadt, während das im Ruhrgebiet ganz normal ist.

Wie sieht’s mit der Spendierlaune gegenüber Straßenkünstlern aus?
Das ist im Osten deutlich besser als im Westen. In der alten Zone hielten Rostock und Leipzig lange meine Einnahmerekorde.

Hat man dort etwa ein größeres Herz für ..kleine Lichter“?
Scheinbar. Das hat mich auch am Anfang überrascht.

Welche offizielle Berufsbezeichnung könnte man dir geben?
Das Lustige ist, für die Künstlersozialkasse muss ich immer in den Bogen etwas eintragen. Es passt immer nur ein Begriff in diesen Bogen, der mir wiederum gar nicht passt. Der Alleinunterhalter.

Was stört dich denn daran?
Das Bild, welches man von einem Alleinunterhalter hat, ist so’n verranzter, alter, speckiger ‚Typ, der hinter ’nem Midi-Key-board steht, aus dem 95 Prozent Playback rauskommen, und dann „O la Paloma blanca“ schlecht intoniert.

Hast du diesen Song etwa nicht im Repertoire?
Nicht, nein. Keinen einzigen deutschen Schlager. Niemals. Never. Ganz wichtig bei mit ist außerdem: Ich habe noch nie „Country Roads“ gespielt, obwohl das der Meistgefragte Song ist. Den kann ich einfach nicht mehr hören. Meine Maxime ist, dass ich nur Songs spiele. die ich selber mag, weil ich meine, dass man nur die mit Herzblut rüber-bringen kann.

 

„Die Leute beklatschen immer am liebsten ihr eigenes Gedächtnis.“

 

Schreibst du auch eigene Songs?
Eine von meinen CDs. die ich offeriere, ist nur mit Eigenkompositionen bestückt. Dummerweise ist das, seit ich professionell arbeite, immer weniger geworden. Man kann das nur schwer forcieren. Es kommt einfach oder et kommt nicht. Die Lieder, die die Leute kennen. laufen halt auch super. Denn die Leute beklatschen immer am liebsten ihr eigenes Gedächtnis.

Das ist ein guter Satz!
Kommt leider nicht von mir.
Zwischendurch spiele ich hier und da auch mal was Eigenes. um mich wieder aufzubauen, wenn mir die Abwechslung fehlt. Aber es gerät insgesamt eher ins Hintertreffen. Ich habe jetzt zum ersten Mal eine Auftragskomposition gemacht. Das war für die KJG in Münster. Alle waren sehr zufrieden mit dem Ergebnis, dabei kam mir die Idee erst am Tag der Abgabe. Da habe ich gesehen, dass man es tatsächlich doch erzwingen kann …

Könntest du dir auch ein Leben als Komponist vorstellen, der für andere Leute Lieder schreibt?
Auf jeden Fall. Wobei ich kein guter Studiomusiker wäre, glaube ich. Ich bin vielleicht ein ganz passabler Sänger, auch als Gitarrist okay und ein gar nicht mal so guter Klavierspieler bis jetzt …

Wie bitte? Du bist gar kein guter Klavierspieler? Wieso merken die Letzte das nicht?
Ich begleite ja nur meine Stimme mit dem Klavier. Dazu braucht man technisch nicht sonderlich versiert zu sein. Um die Stimmung eines Songs rüberzubringen, reichen rudimentäre Klavierkenntnisse zum Glück aus.

Ach, ich finde, du hast da gerade ganz fein geklimpert.
Ja, ich versuche mich ja auch zu verbessern. Aber mit technischer Versiertheit hat das, was ich hier mache, nix zu tun.

Zum Schluss noch die Mosen-runter-Frage: Kommst du mit dem gut über die Runden, was du da machst?
Ich bin wirklich  äußerst zufrieden. Ich komme mit dem Geldausgeben kaum hinterher. (Lacht) Ich habe nicht so hohe Ansprüche. Für mich ist Luxus nicht, ein dickes Auto zu fahren. Ich fahre meine Karre seit zehn Jahren und werde sie auch weitere drei Jahre fahren.

Was willst auch machen? Das Klavier muss ja reinpassen …
Das stimmt. Für mich ist Luxus aber viel mehr, keinen Wecker zu haben oder nicht in dieser Lohnsklaverei drinzustecken.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

LUKAS SCHLATTMANN Lukas Schlattmann ist seit 37 Jahren Münsteraner. In der Zwischenzeit hat er aber schon ganz schön viele andere Ecken gesehen von unserer Republik. Zehn Jahre ist er im ‚Weserbergland in Bad Pyrmont zur Schule gegangen, hat dann in Sachsen studiert. In Berlin wollte er seine Diplomarbeit schreiben, hat stattdessen aber mit der Straßenmusik angefangen. Sein Medientechniker-Diplom machte er letztlich schnell in Münster, bevor er nach anschließenden acht Jahren ins Ruhrgebiet kürz.- lieh in Davensberg landete. Acht Kilometer von seinem Geburtshaus entfernt.

Quelle: Stadtmagazin Münster „Stadtgeflüster“
Datum: 21. April 2011
Autorin/Foto: Malte Limbrock

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